„Der Glaube an eine grössere und bessere Zukunft ist einer der mächtigsten Feinde gegenwärtiger Freiheit“
sagt Aldoux Huxley und hat sicher eine andere Zeit und Zustand beschrieben, und doch hat mich dieses Zitat berührt, zum Nachdenken gebracht. Denn Freiheit hat auch etwas zu tun mit dem 'im Hier und Jetzt' sein. Es reicht nicht, immer enger zu werden in der Gegenwart und das Schöne auf die Zukunft zu verlagern. Das Gefühl von Freiheit kann sich nur in der Gegenwart einstellen. Oder auch: wo kann ich diese Freiheit finden, selbst wenn sich alles herum nicht frei anfühlt?
Hat Freiheit etwas mit Kampf zu tun? Mit laut sein, mit Aufstehen, mit Rebellion? Oder auch nur mit Ausdruck? Oder kann es auch ein ganz leises Gefühl sein, ein Ankommen in Freiheit. Rebellieren wir manchmal im aussen, wenn sich innerlich alles unfrei anfühlt?
Das Wort „Freiheit“ und „frei“ kommt aus dem indogermanischen und heisst soviel wie „nahe, bei“ „das, was bei mir ist“, das persönliche Eigentum. Freiheit ist nahe bei uns, ist unser Eigentum, vielleicht sogar unsere Verpflichtung; „Paß auf, dass du deine Freiheit nutzt. Die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt!“ singt Reinhard May. Freiheit als Gegenbewegung zur Angst, zum 'eng werden', zum 'gehorsam werden', zum 'nicht nachdenken'.
„Zahme Vögel singen vom fliegen, wilde Vögel fliegen“ singt John Lennon. Oder geht auch Beides? Singen und frei sein, zahm sein und wild, wild sein und fliegen, fliegen und singen?
Freiheit scheint eng verbunden mit Autonomie, der Wunsch, alleine entscheiden zu können, sich zu erweitern, sich zu positionieren, Platz um sich zu haben. Frei von Fesseln wollen wir sein, frei von Anderen. Und bringt die Autonomie und Freiheit nicht dann auch wieder die Gefahr, dass sie einsam macht, dass man die Grenzen nicht findet. Geht das, frei sein und verbunden, Raum geben und da bleiben, wild und zahm? Und wie können wir uns von uns selbst befreien? Was sind die Blockaden in uns drin, die uns nicht frei fühlen lassen?
Ich gehe drei Schritte zurück und überlege, wann ich mich das letzte mal frei gefühlt habe. Was gegeben sein muss, damit ich mich frei fühle, was wegfallen muss, in welchen Zustand ich mich bringen muss.
Freiheit hat etwas mit Grenzen zu tun, mit den Grenzen zu anderen, mit den Begrenzungen, die ich mir selber gebe. „Gefangen sein in meiner Haut“, sagt man, und die Haut ist der Widerstand, die Grenze nach aussen.
Gesang und Stimme ist - als Fortführung des Atems - der Weg nach draussen.
Die Stimme ist die Verbindung von innen nach aussen, für uns selber und für andere. An ihr gekoppelt können wir Gefühle wahrnehmen, sie sich uns spiegeln lassen und nach draussen transportieren. Die Stimme kann anzeigen, wie frei wir sind, wie offen, wie sehr wir die Grenze ernst nehmen. Wir können die Stimme benutzen, um die Blockaden zu spüren und manchmal auch, um sie aufzulösen. Die Stimme ist belegt, sagt man; was für ein spannendes Wortspiel. Von wem belegt, von was belegt, wer hat da eine Belagerung eingeleitet, was ist das für ein Krieg in mir drin und wer oder was nimmt mir hier meine Freiheit?
Wo führe ich den Kampf im Körper und wo fühle ich Freiheit im Körper? Wie kann frei atmen? Mein Brustkorb? Mein Rücken? Was brauche ich dafür?
Mit allen Blockaden, die unsere Stimme nicht nach aussen bringen lassen, schützen wir uns- der angespannte Kiefer, der Halt im Rücken, der eingekniffene Bauch. Und manchmal ist dieser Schutz notwendig, manchmal längst überholte Freiheitsberaubung, mit der wir uns selber beschneiden.
In höchster Freude und noch mehr in höchster Not, wenn wir wimmern, schluchzen, weinen, schreien, geboren werden oder sterben.. ist unsere Stimme frei. Dann scheint dieser Schutz nicht mehr nötig zu sein. Dann darf alles, was in uns drin ist frei sein und nach aussen dringen.
Stimme und Freiheit hängt für mich so eng zusammen; wir juchzen, wenn wir den Berg erklungen haben, wir rufen, um uns selber Ausdruck zu verleihen, wir schreien in Not und Lust, wir wollen Ausdruck und Freiheit von dem, was in uns drin ist. Und wenn wir das tun, gibt es so etwas wie ein Rückkopplung, eine Erinnerung an uns selber- und das Gefühl von Freiheit stellt sich ein. Es geht also in beide Richtungen, fühle Dich frei und deine Stimme wird sich frei anhören und befreie deine Stimme und Du wirst Dich frei fühlen.
Und vielleicht ist die Stimme auch die schönste Art Verbindung herzustellen, vielleicht das perfekte Instrument, um bei uns zu sein, Freiheit zu haben und trotzdem verbunden zu sein.
„Wir könnten so frei sein
wenn wir wüssten, wie frei wir sein könnten
würden wir platzen“
(Noldi Alder übers Jodeln)