Ich und Singen

 

 

Die Zeit ist schlecht? Wohlan. Du bist da, sie besser zu machen

(Jean Giradoux)

 

nun habe ich Tage mit mit gerungen und immer wieder überlegt, ob ich meinem Rhythmus untreu werde und über „Singen und Frieden“ schreibe statt über „Singen und ich“

Wäre das nicht viel mehr dran, dachte ich mir, das einzig sinnvolle, das einzig richtige.. was ist das Ich schon in diesen Zeiten, kann man sich wirklich auf Singen und Ich konzentrieren, während in der Welt so viel Wir gebraucht wird?

Ja, ist dann irgendwann meine Antwort geworden; letzten endlich, denn es geht nur vom ich und Du zum Wir, und ohne die Verbindung zum Ich wird alles andere auch schnell schwierig. Und je länger ich darüber nachdenke wird es immer weniger zum Widerspruch, sondern kann zum Tanz umeinander werden. Und das, was gerade passiert, ist viel Überforderung und führt zu Hilflosigkeit und Angst und Erstarrung. Es funktioniert immer wieder nur von neuem, beim Ich anzufangen, um sich aus dieser Erstarrung zu lösen und zu einem Wir zu kommen.

 

 

Wir werden aus irgendeinem „Wir“ geboren, aus einem schwebenden, verbundenen, egal ob man an Urknall oder das Paradies glaubt, nur an den Uterus, ans Karma oder Evolution. Als Säugling nehmen wir uns zunächst noch nicht getrennt war von den anderen. Irgendwann fängt es an, dass wir uns mehr und mehr als eigenständiges Wesen begreifen, Trennungen werden teil untereres Individualisierungsprozesses, und auch das ist nicht so einfach für alle Beteiligten; jeder der mal einen zweijährigen schreiend im Supermarkt erlebt hat, weiss: Individualisierung ist kein Zuckerschlecken..

Das Gefühl von „ich- Werdung“ und Autonomie versus Gemeinschaftsgefühlen und Bindung und Verschmelzen bleibt eins unsere zentralen Lebensaufgaben. Am Ende steht der Tod, der wieder eine Auflösung zumindest alles Körperlichen bedeutet.

 

Es gibt Zeiten, da muss und will man das „Ich“ vergessen, es sind die grössten Momente der Erholung, wenn sich unser Ego auflöst und wir und garnicht mehr vom anderen getrennt erleben; und doch: alles „Ich“, mit all dem Körperlichen, Trennenden, Grenzen, Ausdruck, Suchenden ist oft der Ausgangspunkt, um wieder in die Welt zu gehen.

 

Ich denke manchmal, ich habe nicht so viel Angst vor dieser Auflösung des Ich´s; erlebe ich es doch oft als sehr wohltuend.. wenn ich meditiere, einschlafe, im Shavasana beim Yoga liege (Endentspannung) und natürlich beim Musik hören. Musik mit seiner magischen Wirkung, alle Grenzen aufzulösen und uns mit in eine andere Welt zu nehmen.

 

Tatsächlich nehmen Tanzen und Singen einen besonderen Platz ein; es scheint mit einer der besten Wege, beim Ich zu bleiben und es zu spüren, und trotzdem verbunden zu sein. Beim Tanzen haben wir den Körper, der uns sehr an die Erde zurück koppelt und gleichzeitig die Musik, die die Verbindung schafft, zu anderen, zum Kollektiven, zum grösseren. Beim Singen ist es ähnlich. Ich kann Singen und mich auflösen, schweben, verbunden sein, und mich trotzdem gleichzeitig hoch präsent im Körper und in mir fühlen. Bei den Singgruppen erlebe ich oft, dass alle mit geschlossenen Augen dasitzen, „scheinbar“ nur mit sich selbst beschäftigt und doch hoch verbunden und zusammen und der gemeinsame Klang scheint wie eine dritte Qualität, der alles ausmacht und die Magie bereithält.

 

 

Ich singe also bin ich

(frei nach Descartes)

 

Das Singen- natürlich auch verbunden mit bestimmten Texten, kann diese besondere Qualität des Empowerments und der Selbstwirksamkeit bereithalten- und das in sehr vielen Bereichen und Lagen; unsere Stimme begleitet uns fast immer, selbst im Krankenbett können wir sie noch erheben. Das Singen bringt uns gleichzeitig zu uns selber zurück und im Klang bekommen wir etwas zurück. So ein bisschen, als würden wir uns selber ein Geschenk machen.

 

Und es ist fast unmöglich, nicht mit sich selber verbunden zu sein und zu bleiben, wenn man singt. Lust auf einen Selbstversuch? Nehmt einen Satz, der euch nicht ganz kalt lässt, sagt ihn in allgemeiner Form, z.B.: „es ist gut, verbunden zu sein“. Als nächstes nehmt ihr ihn zu Euch: „ich will verbunden sein“; und dann singt ihn: „ich bin verbunden“ oder „wir sind verbunden“. Irgendwelche Unterschiede?

 

Jeder läuft mit sich selbst, mit sienem „Ich“ immer irgendwie durch die Welt. Doch das Singen hält die Chance bereit, immer wieder etwas mehr von sich mitzubekommen, als würde es geradegerückt, manchmal in aller Wichtigkeit, manchmal in aller Unwichtigkeit. So als würde das IchGefühl im Singen seinen Richtigen Platz finden, wie eine gerade, starke Wirbelsäule, von der aus man alle anderen Gliedmassen gut bewegen kann.

 

„Ich sing mein Lied aus mir heraus

ich spreche mutig alles aus

ich steh zu mit und sage ja

und spüre jetzt bin ich ganz da“

(Lied W. Bossinger)